Huningue und Weil am Rhein

Strand von Bognor Regis

Huningue
Foto: © Oliver Welti

Als die Idee der Städtepartnerschaften in den Fünfzigerjahren in der Regierungszeit von Konrad Adenauer aufkam, stand vor allem die komplexe historisch immer wieder belastete Beziehung zwischen Deutschland und Frankreich Pate für die neuen Anläufe nach dem zweiten Weltkrieg. Menschen, die sich persönlich kennen und verstehen, schießen nicht aufeinander, lautete die Hoffnung nach einem halben Jahrhundert der Massenvernichtungen, der beiden Weltkriege mit Besetzungen, Zerstörungen und der schrecklichen Grimasse des nationalistischen Furors. Tatsächlich mußte vor allem auf kommunaler Ebene das Fundament für die menschlichen "Reparationsleistungen"
gelegt werden. Das Beispiel der Nachbarn Weil am Rhein und Huningue belegt, wie problematisch diese Annäherung im europäischen Geist sein kann.


Badehaus von Bognor Regis

Brücke beim Parc des Eaux
Foto: © Oliver Welti

Denn anders als die typischen Partnerschaften einer deutschen und einer franz. Stadt mit dem Reiz des Unterschiedlichen, der Neugier auf die exotischen Seiten des neuen Schulpartners lebte diese Partnerschaft aus dem Jahr 1962 lange Zeit vor allem aus dem Rucksack der Vergangenheit.

Keine der Attraktionen aus dem Schulbuch war die Stimulation der neuen Beziehung. Das typische Frankreich spielte sich nicht in Huningue ab. Die Elsässer selber sehen sich mit ihrer franko-alemannischen Geschichte als Sandwich zwischen den beiden Mächten und haben mit ihren literarischen Vordenkern wie André Weckmann vor allem einem neuen Regionalismus im Hause Europa das Wort geredet, der die kulturellen Wurzeln in der gemeinsamen Mentalität und im gleichen grenzüberschreitenden Dialekt findet.

Der kriegsbelastete Hüninger lebt aber in Huningue, sieht seine Enkel ohne Dialekt mit der französischen Sprache aufwachsen und benötigt die Grenze im Rhein zunächst, um die Vergangenheit aufzuarbeiten. Er weiss, daß von Nazis eingesetzte Bürgermeister in Weil ihre Hüninger Protektoratsaufgaben während des Weltkriegs so diplomatisch versehen haben, daß sie selbst in der Nachkriegszeit im Elsaß Freunde behalten. Und sie beobachten mit gemischten Gefühlen, daß freie Wahlen bereits zwölf Jahre nach dem Zusammenbruch der Nazi-Diktatur im Jahre 1957 ehemalige Befehlsgewaltige in die demokratisch gewählten Gemeindeparlamente von Weil am Rhein und Lörrach zurückkehren lassen. Sie pflegen die Beziehungen zur innerfranzösischen Partnerstadt Soustons nicht nur deshalb intensiv, weil der Fluchtort am Atlantik auch im Frieden attraktiv ist.

Huningue und Weil am Rhein gehören seit Jahrhunderten vor allem aus geografischen Gründen zu den Brennpunkten in Europa, an denen europäische Konflikte wie die ständigen Erbfolgekriege aus absolutistischen Zeiten blutig ausgefochten wurden. Die Festung Hüningen ist am westlichen Rheinufer immer noch in der Stadtstruktur erkennbar. Gleichzeitig war die Lage prädestiniert für zukunftsweisende Investitionen. Das alte Friedlingen starb im spanisch-französischen Erbfolgekrieg von 1702 endgültig, das neue europäische Wirtschaftsverständnis entdeckte Vorläufer in den gemeinschaftlichen Investorengruppen elässischer und Schweizer Unternehmer, die in Friedlingen seit 1880 einen strategisch günstig gelegenen Textilstandort aufbauten.

Deshalb ist eine Jumelage zwischen dem entfernter gelegenen Sens und Lörrach eher eine Partnerschaft der Menschen, während die Verschwisterung zwischen Huningue und Weil am Rhein deutlich symbolische Züge trägt und an den Beziehungen von Amts- und Würdenträgern ablesbar ist. Die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Alt-OB Otto Boll und dem Weiler Ehrenbürger und verdienstvollen Hüninger Alt-Bürgermeister Charles Muller legen genauso beredtes Zeugnis ab wie die institutionell entstandene und menschlich gewachsene Beziehung von Peter Willmann und Etienne Martin oder heute zwischen Wolfgang Dietz und Maire Moebel. Der europäische Alltag handelt von anderen Kräfteverhältnissen. Die Textilindustrie starb, die modernen Technologie-Konzerne kamen. Huningue und Weil am Rhein sind suburbane Bereiche der Agglomeration Basel geworden und naturgemäß Standorte der Chemie- und Pharmakonzerne. Schweizer LOFO-Produkte aus Friedlingen finden sich in jedem dritten Handy auf der Welt, interaktives Lernen wird von Schweizer EDV-Designern bei HQ im Schwarzenbach-Areal für den europäischen Markt erleichtert, bei E+H in Friedlingen findet sich der beispielhafte europäische Mittelstandskonzern, der in allen drei Ländern zuhause ist. Zahlreiche Beispiele aus der Wirtschaft lassen sich an beiden Orten beliebig aufzählen.

Die Pontonbrücke zwischen Weil und Hüningen ist Vergangenheit, die Fähre ebenso, aber die Kundschaft des Rheincenters besteht zu größten Teilen aus Menschen aus Kleinhüningen und Frankreich. Zahlreiche französische Arbeitnehmer von Big Star und Raymond auf der deutschen Seite blockieren am späten Nachmittag auf ihrer Rückfahrt das Nadelöhr an der Palmrainbrücke. Zwischen SIPES und den Gemeinden des Wasserverbandes wurde schon seit Jahren Regionalpolitik betrieben und wenn die Ergebnisse schon so alltäglich waren, daß sie in der Öffentlichkeit kaum mehr wahrgenommen werden, dann nimmt die elsässische Spargelbrüderschaft wieder einen Weiler Connaisseur auf.

Das Ziel europäischer Verschwisterung war in den ersten 30 Jahren die Versöhnung. Nachdem die Kriegsgeneration pensioniert wurde, bleibt das Ziel, das Haus Europa zur selbstverständlichen Alltagserfahrung zu machen. Dabei gibt es für einen Partnerschaftsverein, der nicht wegen Hüningen, sondern wegen der englischen Partnerstadt Bognor Regis gegründet worden war, nach wie vor viel zu tun. Auf der einen Seite bemüht er sich darum, überregionale Programme wie "Lerne die Sprache deines Nachbarn" auf beide Gemeinden anzuwenden, indem Kontakte zwischen Lehrern vermittelt werden. Er braucht sich nicht um die Kontakte zwischen Politikern zu kümmern, wohl aber um Beziehungen zwischen Vereinen, Festveranstaltern und Organisatoren. So gibt es seit einigen Jahren einen Stammtisch, an dem die Vertreter des Weiler Vereins zur Förderung von Städtepartnerschaften wie Heinz Kramer und Sylvia Friedrich(die als Hüninger Frau eines Weilers mit ihrem Mann Hans-Jürgen im Vorstand des Partnerschaftsvereins dem Namen sogar eine sehr persönliche Note gibt), Vereinsvertreter wie Jörg Pillau vom Turn- und Sportring oder Karl Gehweiler vom Kulturring und Vertreter des für Partnerschaften zuständigen Hauptamtes wie Dieter Walk und Ingo Wittig gemeinsam mit Vertretern der Hüninger AMA sitzen.

Diese Hüninger Mischung von Vereinsvertretung und halboffizieller Freizeitpolitik ist in Hüningen um "Animation" besorgt und dafür zuständig, wenn Hüningen beim Straßenfest in Weil vertreten ist. Die Nutzung von Hüninger Sporthallen für Weiler Sportler, die gemeinsamen Projekte von Musikschule oder Museen sind Ausflüsse einer funktionierenden Kommunikation zwischen Verwaltungsabteilungen. Daß die freizeitpolitischen Gemeinsamkeiten in Zukunft eher grösser werden, könnte am neuen Hüninger Bürgerhaus "Le Triangle" liegen. Aufgabe eines Partnerschaftsvereins könnte es dann irgendwann einmal sein, die Unterschiede zu bewahren und als Qualität herauszuarbeiten und nicht nur auf die Gemeinsamkeiten zuzuarbeiten. Einen großen Anteil daran hat die „Table Ronde“, ein Arbeitskreis, der als Teil des Städtepartner-Vereins für ein lebendiges Aktions- und Begegnungsprogramm sorgt. Auf französischer Seite sind daran die Vertreter der AMA beteiligt auf deutscher Seite der Turn- und Sportring, der Kulturring, der Städtepartnerverein, die Stadtverwaltung, das Altweiler Straßenfest und andere. Die Chance zur gelebten Partnerschaft bei der gegebenen Nähe kann noch erheblich verbessert werden, wenn die „Passerelle“, die Brücke über den Rhein vermutlich im Frühjahr 2007 eingeweiht ist.